Yo soy alemán – Ja ich bin Deutscher
Hier schreibt Mark Scheppert eine Kolumne oder sagen wir mal seine Erlebnisse für Fritten, Fussball & Bier auf. Mark Scheppert ist der Autor der wunderbaren Bücher “90 Minuten Südamerika†und “Mauergewinner†und ist im Netz unter www.markscheppert.de zu finden.
„Scheiß Ostler!“, brüllt Ottmar, doch sie können ihn nicht hören. Wir sitzen mit zwei Sixpacks Schultheiss auf einem mit Gras überwucherten Sockel der Oberbaumbrücke. Er hatte sie als erster gesehen und gemeinsam mit Matze, Krog, Bernd und Göte betrachte ich nun die grölend vorbeiziehenden Idioten. Zehn unangenehme Zeitgenossen mit Schnauzbart torkeln im Zickzack an uns vorbei in Richtung Kreuzberg. Sie brüllen: „Deutschland ist Weltmeister!“ Zwei Kerle in Marmorjeans schwenken schwarz-rot-goldene Fahnen. Doch die scheißhässlichen Typen wirken nicht martialisch, böse oder gar gefährlich – eher peinlich und unfassbar dumm. Ich kann nicht glauben, was sie da unten gerade veranstalten und schäme mich für meine Landsleute – zutiefst.
Die Oberbaumbrücke, deren Türme im Krieg ihre Dächer verloren hatten, symbolisiert in diesen Tagen grenzenlose Freiheit. 28 Jahre lang war es für DDR-Bürger nahezu unmöglich gewesen über sie, von Osten in den Westen zu gelangen. Kurz nach dem Mauerfall entdeckten wir sie für uns. Hoch oben auf den verfallenen Stümpfen haben wir einen fantastischen Blick über die Spree, bis hin zum Hotel Stadt Berlin und dem Fernsehturm. Wir können die neugierigen Menschenmassen von der Warschauer Brücke, aus Richtung Friedrichshain kommend und gleichzeitig das bunte Treiben in Kreuzberg am Schlesischen Tor beobachten. Der Sonnenuntergang, über dem sich verändernden Berlin, ist hier der schönste in meiner Stadt. Es ist ein magischer Ort, bei dem ich mir sicher bin, dass ich ihn – und die damit verbundenen Erinnerungen – niemals im Leben vergessen werde.
Der besoffene Ossi-Mob ist nun schon fast an der U-Bahn, die sie wohl zum Ku’damm bringen wird. Doch wir können noch deutlich hören, dass sie ein Lied angestimmt haben. „Sind die bescheuert oder was?“, ruft Ottmar, der aussieht, als ob er sich gleich auf sie stürzen will. „Deutschland, Deutschland, über alles. Ãœber alles in der Welt“, schallt es zu uns hinauf. Wir hatten die erste Halbzeit des WM-Finales in einer kleinen verrauchten Kneipe gesehen. Keine deutschen Devotionalien schmückten den Raum und nur vereinzelnd trauten sich einige Gäste, zurückhaltend und unsicher, ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Einige drückten sogar Maradona und seinem Team offenkundig die Daumen. Die Jungs hatten mich – obwohl ich das Spiel ganz gerne zu Ende gesehen hätte – zur Halbzeit überzeugt, dass wir gerade jetzt mit ein paar Bieren auf die Brücke klettern müssten. Die Stadt war wie ausgestorben. Diese leere Straße mit dem ruhig dahin fließenden Fluss würden wir vielleicht nur einmal im Leben an einem Sonntagabend in dieser unfassbaren Stille erleben können. Sie hatten Recht behalten. Berlin gehörte für 45 Minuten nur uns allein.
Plötzlich ertönt ein gewaltiger Urschrei, der aus tausenden Kehlen gleichzeitig zu kommen scheint. An der ehemaligen Mauer und den Häuserwänden hallt das Echo sekundenlang nach. Deutschland musste in Führung gegangen sein. Doch der Jubel lässt mich nicht freudig erschaudern und hemmungslos in Tränen ausbrechen. Obwohl die Wiedervereinigung in wenigen Monaten bevorsteht und ich mit der DDR schon lange nichts mehr am Hut habe, empfinde ich nichts. Das ist nicht mein Land, nicht mein Team und auch nicht mein Tor. Es ist nicht mein Schrei! Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft kann mir heute und wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit gestohlen bleiben. Und dieses Deutschland eigentlich auch. Ich bin kein Deutscher! Ich möchte reisen und rote Punkte auf eine riesige Weltkarte kleben. Will andere Kulturen kennen lernen, andere Landschaften und Architekturen bestaunen, andere Lebensweisen begreifen lernen, andere Menschen treffen, andere Bier- und Fischsorten testen, andere Musik hören und anderen Sex haben. Ich drehe mich zu Ottmar und sage mit ironischem Unterton. „Weißt du eigentlich, dass heute ein ganz besonderer Tag ist?“ Er schaut mich fragend an. Ich erhebe mein Bier und rufe: „Die BRD ist letztmalig Fußball-Weltmeister geworden!“ Raketen fliegen in den nächtlichen Himmel. Diese einfachen, billigen: rot oder gelb, einige grün. Auch Böller sind nun zu hören. Es ist der Abend des 8. Juli 1990.
„Niemals war der hinter der Linie!“, meckert Göte und Jenna sagt trocken: „44 Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet.“ Ich blicke begeistert in die Runde und sehe, dass auch alle anderen aufgesprungen sind. Bei der Wiederholung des Lampard-Schusses, beginnen wir lauthals zu lachen. „Rache für Wembley. Jetzt trinken wir aber mal so richtig einen!“, brüllt Matze und erhebt sein Glas. Was für ein rasantes Spiel, was für eine emotional aufgeladene Stimmung. Heute muss man einfach zum Fußballfan werden.
Ich hatte mich mit Stella zum Kaffee in Kreuzberg verabredet und habe es nun eilig, zurück nach Friedrichshain zu gelangen. Doch auf der Oberbaumbrücke lässt mich ein innerer Impuls kurz verweilen. Wie schön sie nur ist, diese – unsere – Brücke. Nach der Wende war sie aufwendig renoviert worden und erstrahlt seitdem wieder im alten Glanz. Das rote Gewölbeviadukt mit seinen repräsentativen Türmen ist zum Symbol einer wiedervereinten Stadt geworden. Seit einer Reform schmückt sie sogar das Wappen des neuen Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Langsam fahre ich mit meinem Rad über das historische Pflaster durch einen immer dichter werdenden Menschenpulk. Ich blicke über die Spree und überlege, wie viele dieser Gebäude damals anders hießen oder noch nicht standen. Meine Stadt hatte sich verändert und mit ihr auch die Menschen. Vor mir laufen nun hunderte, aufgeregt plappernde Leute. Fast alle, Männer wie Frauen, Alte und Kinder, tragen ein Trikot der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft, schwenken schwarz-rot-goldene Fahnen und haben sich die Gesichter, Arme und manche sogar die Zehnägel „deutsch“ bemalt. Etliche imitieren einen Hornissenschwarm, indem sie in eine Vuvuzela tröten. Doch obwohl sie damit meine Nerven strapazieren, wirken diese Menschen nicht martialisch, böse oder gar gefährlich – eher zuversichtlich, hoffnungsfroh und unglaublich glücklich. Auch sie sind auf dem Weg in eine der unzähligen Kneipen mit Flachbildschirmen und Leinwänden, andere wollen in die 11-Freunde-Arena, wo sogar ein kleines Stadion errichtet wurde. Heute ist das große Spiel, heute beginnt die WM 2010 erst richtig. Heute trifft Deutschland auf den Erzfeind aus England.
Auch ich trage das Trikot der Deutschen, ohne mich dafür zu schämen. Ein wenig „Krakengläubig“ das rote 2006er Auswärtstrikot, da unser Team bisher nur einmal gegen Serbien verloren hatte, als ich das weiß-schwarze trug. Nein, es gibt da kein verpflichtendes Gefühl im Zuge der fortschreitenden „Schlandisierung“ meiner Heimat, auch keinen übertriebenen Nationalstolz. Während der WM 2006 hatte ich das Shirt erstmals in Südamerika getragen. Ich hatte den Leuten damals zeigen wollen, wo ich herkomme, wo meine Wurzeln sind, wo ich das viele Geld verdient hatte, um durch diesen wunderschönen Kontinent reisen zu können und vor allem, wem ich die Daumen drückte!
Viele Freunde sind schon da und albern nervös herum. Wir sind ein bunt zusammen gewürfelter Haufen aus Nord und Süd, Ost und West. Erst der Mauerfall hatte viele von uns zusammen gebracht und fast alle wissen das sehr zu schätzen. Auch die Jungs, mit denen ich vor 20 Jahren auf den Turmsockeln gehockt und das WM-Endspiel 1990 bewusst ignoriert hatte, sind da. Wochen vorher hatten wir die Bänke vor dem „Rockz“ reservieren müssen und mittlerweile kleben sogar kleine Zettelchen mit unseren Tippernamen auf den Tischen. Auch meiner: „larubia“ (Die Blonde).
Die WM 2006 und die entscheidenden Spiele der EM 2008 hatte ich ohne meine Freunde erlebt. Es ist heute nicht der erste Tag, an dem ich das bereue, denn ich kann mich noch gut erinnern, dass ich etliche Partien ganz allein verfolgt hatte. In Berlin feiere ich mit bekannten Gesichtern auf Partys und in Kneipen bis tief in die Nacht. Es geht von dieser Gemeinschaft eine ungeheure positive Energie aus. Lediglich, dass sich ein bisschen viel um unseren Tippschein dreht, nervt ein wenig. Beim derzeit Führenden sahen wir das letzte Vorrundenspiel der Franzosen. Alle freuten sich über deren vorzeitige Heimreise und brüllten sich in den letzten Minuten die Seele aus dem Leib. Nur er sprang nach dem Abpfiff einmal kurz auf und schrie: „Yes, zwei Punkte.“ Der Tippzettel versaut den Charakter. Doch das ist heute sicherlich anders. Wenn Deutschland spielt, wird es niemanden ernsthaft interessieren, wie viele Punkte er machen wird. Hauptsache die Engländer werden weggehauen. Marco und Olaf verteilen Bier und Beruhigungs-Mexikaner.
Durch die Straßen schiebt sich noch immer ein unüberschaubarer Strom schwarz-rot-golden gekleideter Fans. Angeblich soll die Stimmung 2006 noch viel ausgelassener gewesen sein. Ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Meine Stadt erstarrt in angespannter Vorfreude. Ein bisschen Herzklopfen, leichtes Aufatmen und ein spürbar wohliges Gefühl im Magen. Das Spiel beginnt.
20. Minute: Langer Abschlag von Neuer direkt in den Lauf von Klose. Er enteilt dem englischen Verteidiger und schiebt, fast im Fallen, den Ball über die Linie.
Ein ohrenbetäubender Schrei donnert durch die Simon-Dach-Straße. Es ist ein Urschrei, der aus tausenden Kehlen gleichzeitig ertönt. Ein Schrei der Erlösung, der grenzenlosen Erleichterung, ein Orgasmus ohne Sex. An den Häuserwänden hallt das Echo sekundenlang nach. Der grenzenlose Jubel lässt mich erschaudern. Ich blicke auf den Bildschirm. Das dort ist mein Land. Es ist mein Team und auch mein Tor. Es ist mein Schrei! Noch viermal jubeln wir am heutigen Tag – Poldi, zweimal Müller und ein nicht gegebenes Wembleytor – und ebenso oft berauschen wir uns an den Toren im Spiel gegen Argentinien. Ich bin ein wenig beruhigt, dass es nur Uruguay bis ins Halbfinale schafft. Wenigstens habe ich so keine gigantische Party in Südamerika verpasst. Außer die in Montevideo. Doch auch für Deutschland ist gegen Spanien Schluss. Müdigkeit, Trauer und Depression. Obwohl ich durch „España“ bei unserem Tippspiel wieder weit vorne lande und bei „radioeins“ sogar den dritten Gesamtrang von 15.000 Leuten belege, falle ich in das nächste schwarze Loch.
Am Tag nach unserer Niederlage gegen Spanien buche ich mir einen Flug nach Madrid. Ich möchte dem Hochgefühl hinterher fliegen, kann nicht akzeptieren, dass die WM schon vorüber ist. In meinem Herzen gibt es ein unordentliches Gefühl und eine innere Stimme sagt mir, dass ich dort etwas finden werde.
Ernüchtert laufe ich am Samstag durch die Stadt. Der Bronzeplatz existiert im Fußball praktisch nicht und interessiert hier natürlich niemanden. Dennoch versuche ich es vor dem Estadio Bernabéu. Ich hatte recherchiert, dass hier die Spiele der Spanier auf einer Großbildleinwand übertragen wurden. Nichts! Ein Typ kommt auf mich zu und fragt in Englisch, ob ich ihm ein Interview geben kann. Er arbeitet für den Sender „Times now“, den etwa 22 Millionen Inder täglich verfolgen. Ich fühle mich geehrt und labere bei 41 Grad im Schatten dummes Zeug über „Octopus Paul“. Obwohl er mir anbietet, die Partie zusammen in einer Kneipe zu schauen, fahre ich mit der Metro ins Zentrum. Auch tote Hose! Doch an der Plaza Colon treffe einen Gleichgesinnten. Der ebenso in unseren Farben gekleidete Typ kennt einen Geheimtipp. Die deutschsprachige evangelische Gemeinde Madrids hatte bisher zu allen Spielen geladen. So auch heute. Mich erwarten fast hundert Landsleute, die sich bei Bratwurst und Weißbier das Spiel gegen Uruguay anschauen wollen. Viele tragen das Trikot mit dem Adler. Das Ananas-Spiel ist unterhaltsam und die Stimmung überraschend gut. Schnell komme ich mit einigen Leuten ins Gespräch. Sie arbeiten oder studieren hier und scheinen, aus fast allen Bundesländern zu kommen. Ich bin der einzige Tourist. Die Jungs und Mädels machen ordentlich Rabatz und sind der Meinung: „Wer nicht hüpft, der ist kein Deutscher.“ Ich bin einer und zelebriere auch etliche Male das „Humba, humba, tätärä“ mit ihnen, auch wenn das bei uns „Uffta“ heißt. Das Kirchenpersonal füllt uns nach dem 3:2 mit Freibier ab und singend ziehe ich mit 20 Leuten durch die Stadt zum „Puerta del Sol“. Auf dem Weg grüßen uns die Spanier euphorisch, da wir ununterbrochen: „Mañana España, hoy Alemania“ (Morgen Spanien, heute Deutschland) brüllen. Drei unserer Leute springen unter Jubel in den Brunnen am „Sol“, schwenken eine große deutsche Fahne und hunderte Touristen knipsen die ungewöhnlichen Szenen. Letztendlich müssen spanische Polizisten unsere Feierorgien beenden. In einer Polonaise laufen wir in einen Club, in dem ich böse versacke. Deutschland ist WM-Dritter. Alles macht Sinn!
Am Tag des Finales geht es mir gar nicht gut. Draußen sind gefühlte 46 Grad und so lasse ich mich bis 18 Uhr von der Klimaanlage bestrahlen. Da ich mit meinen Klamotten gestern fast nicht in die Disko gekommen wäre, betrete ich die glühenden Straßen mit Bluejeans, schwarzen Turnschuhen und weißem Hemd. Klitschnass geschwitzt kehre ich, nach einer U-Bahnfahrt und 10-minütigem Fußmarsch auf der Fanmeile, wieder um. Ich dusche kalt, ziehe mir kurze Hosen, Schlappen und mein rotes „España“ Trikot an, welches mir meine Freunde zum Tippsieg 2008 geschenkt hatten. Auch eine Flasche Wasser und drei Dosen Bier nehme ich mit, da ich bei meiner ersten Stippvisite keinen Alkoholausschank erspähen konnte. Die Spanier müssen sich scheinbar nicht warm saufen. Fünf gigantische Leinwände sind zwischen der Plaza de Cibelles und der Plaza Colon aufgebaut. Die komplette Stadt scheint auf den Beinen zu sein und ersehnt seit Stunden den Anpfiff des ersten WM-Finales mit spanischer Beteiligung. Ich sehe die Vorfreude in ihren Augen, höre ihr Herzklopfen, kann ihr wohliges Gefühl im Magen nachempfinden und vernehme ihr Aufatmen. Das Spiel beginnt.
116. Minute: Van der Vaart passt unglücklich auf Fábregas, der den Ball weiter zu Iniesta spielt. Iniesta nimmt Maß und trifft platziert zum 1:0.
Für den Bruchteil einer Sekunde verharren die Leute in ungläubigem Staunen, doch dann brüllen sie es heraus. Wie eine zerstörerische Lawine bricht das hunderttausendstimmige „Gooool“ über die Stadt herein. Es ist ein nie enden wollender Schrei, so als ob ganz Spanien jahrzehntelang dafür Luft geholt hatte. Die Straßen beginnen zu beben und die Häuserzeilen zu wanken. Noch immer nimmt die Lautstärke orkanartig zu. Die Menschen dehnen ihren Jubel auf eine unglaubliche Länge aus. Plötzlich ahne ich, was sie vorhaben. Das immer länger werdende Gebrüll soll ihre Mannschaft zum ersehnten Schlusspfiff tragen. Es gelingt. Schon Sekunden später weiß ich, dass ich dieses markdurchdringende Kreischen nie wieder im Leben hören werde. Spanien wird nur einmal zum ersten Mal Fußball-Weltmeister. Was für ein Schrei!
Ich beginne zu heulen. Alles fällt plötzlich von mir ab. Der schreckliche Tod meines Vaters, der beschissene Stress auf Arbeit und die Anspannung der letzten Monate. Doch es sind nicht nur Tränen der Trauer. Es ist auch ein Bekenntnis zu meiner Sylvie, zu meinen Freunden, zum Leben und zu diesem Spiel – zum Fußball. Eine wild gewordene Meute tanzt durch Straßen. Ich laufe den Weg zurück zu meinem Hotel, obwohl das fünf U-Bahnstationen sind. Bis tief in die Nacht will ich diese Emotionen auf mich wirken lassen. Möchte beobachten, wie die Iberer ihren Gefühlen freien Lauf lassen, wie sie vor Freude lachen und weinen. Ohne Neid und Missgunst, aber voller Hoffnung, dass auch ich, wir, mein Land, Deutschland, dies noch einmal in unserem Dasein erleben dürfen.
Wie auf ein unhörbares Kommando beginnen die Madrilenen ein Lied zu singen. Nicht vier, oder fünf, sondern alle. Hunderttausende gleichzeitig. „Yo soy español, español, español! Yo soy español, español, español!“ (Ich bin Spanier). Gerührt beobachte ich das Schauspiel. Nach 20 Jahren des rastlosen Reisens begreife ich plötzlich ergriffen: Eine lange Suche wurde soeben beendet. Ich identifiziere mich endgültig mit meinem Heimatland. Die Wiedervereinigung hat nun auch in meinem Herzen stattgefunden. Doch manchmal muss man wahrscheinlich sehr weit reisen, um in solch einem Moment, genau das herauszufinden. Zunächst flüstere ich es nur, doch sie können mich nicht hören. Mit Inbrunst stimme ich in ihren Chor ein und schreie es in den Abendhimmel: „Yo soy alemán, alemán, alemán! Yo soy alemán, alemán, alemán!“ Ja, ich bin Deutscher! Es ist die Nacht des 11. Juli 2010.
Quelle Bilder und Videos: Mark Scheppert